HYGIENE AKTUELL

Hygieneskandale – so geht man mit Negativschlagzeilen um

Text: Dr. rer. nat. Marcus Mau | Foto (Header): © DDRockstar – Fotolia.com

Hygienemängel, die Öffentlichkeit und die Medien – kommen sie zusammen, kann dies schnell zu einem Skandal führen. Doch eigentlich sind Hygienemängel und nosokomiale Infektionen keine Seltenheit in Deutschland. Wie also damit umgehen, wenn die öffentliche Stimmung hochkocht?

Auszug aus:

QM Praxis in der Pflege
Ausgabe März / April 2016
Jetzt Leser werden

Unsauberes OP-Besteck, wiederholte Ansteckung mit nosokomialen Keimen oder Todesfälle auf der Säuglingsstation. Die Liste der möglichen Szenarien ließe sich beliebig fortsetzen. Doch bei allem Medienwirbel, der einen Hygiene-skandal begleitet, gilt es in erster Linie, einen kühlen Kopf zu bewahren und die richtigen Schritte einzuleiten. Nur so lässt sich dauerhafter Schaden oder der Ruin einer Abteilung bzw. des Krankenhauses abwenden. Sehr oft kommt es zu einem Hin und Her der Schuldzuweisungen, die nur eines verursachen: Die Patienten verlieren gänzlich das Vertrauen in das Krisenmanagement des betroffenen Hauses.

Ein Blick auf Statistiken kann sich lohnen

Einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG aus dem Jahr 2014 / 2015 zufolge sind deutsche Kliniken sehr schlecht auf Krisen vorbereitet. Aufgrund des zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdruckes geraten auch immer öfter große Kliniken in den Fokus der Öffentlichkeit. Denn: Wer unter ökonomischem und zeitlichem Druck arbeitet, macht ganz zwangsläufig irgendwann Fehler. Doch auf der anderen Seite gibt es sehr selten ein funktionierendes Krisen- und Risikomanagement.

Besorgnis erregend daran ist, dass 64 % der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen und Kliniken den Umgang mit Risiken in der Gesundheitswirtschaft generell als wenig professionell einschätzten. Hinzu kommt, dass oftmals die Mittel zum Erkennen von Risiken und augenscheinlichen Fehlerquellen kaum genutzt werden.

Die systematische Risikoerfassung unter Berücksichtigung aller Unternehmensbereiche und Hierarchiestufen erfolgt in deutschen Kliniken viel zu selten. Nur etwa 20 % der Teilnehmer der Umfrage nutzten regelmäßige Interviews mit den relevanten Fachbereichen, um Risiken aufzuspüren und Gegenmaßnahmen zu planen. Bei 18 % der Unternehmen und Kliniken findet man zumindest gelegentliche Risikoabfragen in loser Folge. Abteilungsinterne Risikoabfragen nutzten aber gerade einmal 12 % der befragten Kliniken und Unternehmen der Gesundheitbranche. Workshops als adäquate Mittel des Risiko-Managements nutzten nur circa 6 % der Institutionen regelmäßig.

Bei solchen Zahlen fällt schnell auf, dass hier insgesamt in Deutschland noch sehr viel Entwicklungspotenzial nach oben besteht. Interessant ist die KPMG-Studie darüber hinaus, weil sie ebenfalls zeigte, dass bis zu 80 % der Kliniken mit Hygieneskandal eben keinen kontinuierlichen Prozess zur Erfassung von Risiken im Klinikalltag besitzen.

Neben bestehenden Regeln auch auf Innovation setzen

Viel zu wenig wird derzeit noch die Belegschaft in das Risikomanagement einbezogen. Innovationen und Ideen seitens der Angestellten werden in den meisten Fällen gefordert und unterstützt, doch in den wenigsten Kliniken wird das auch umgesetzt. In nur 22 % der Fälle setzten Unternehmen der Gesundheitswirtschaft proaktiv auf die Innovationen ihrer Mitarbeiter, um Arbeitsabläufe und das Krisenmanagement im Hause zukunftsfähig zu machen. Der Rest der in der KPMG-Studie befragten Kliniken agierte und agiert weiterhin meist nur reaktiv. Präventives Risikomanagement, Supervision und Risikoabfragen seien in der Organisation und Durchführung oft zu teuer, so zur Begründung. Doch richtig teuer wird es beim ersten oder sogar vielfach nächsten Hygieneskandal.

Führungskräfte als Vorbilder in Sachen Hygiene

Vorgaben für Qualität und Hygiene sind die eine Seite, die andere ist deren konsequente Umsetzung. Doch dabei kommt der Faktor Mensch ins Spiel. Hygiene funktioniert in der Lernphase immer von oben nach unten (sogenanntes Top-down-Modell). Das heißt vor allem, dass Vorgesetzte für das Klinikpersonal und das Klinikpersonal für die Patienten zum Vorbild werden, um korrektes hygienisches Verhalten zu erlernen. Führungskräfte müssen korrektes Hygieneverhalten vorleben und dürfen Fehler nicht einfach ignorieren. Aus diesem Grund gibt es heute auch die Fachärzte für Hygiene und speziell ausgebildete Hygienefachkräfte, um das Klinikpersonal in der Prävention und Basishygiene zu schulen. Nicht immer wird dies aber zufriedenstellend umgesetzt oder scheitert an teils beratungsresistentem Personal: „Wir haben das hier schon immer so gemacht. Und bisher ist auch nie etwas passiert.“

Vorübergehender Aktivismus allein reicht nicht aus

Selbst in Kliniken, die nicht primär von einem Hygieneskandal betroffen sind, zeigt sich in der Folge eines in Deutschland bekannt gewordenen Falles zuweilen ein gewisser Aktivismus. Zwar setzen sich Kliniken mit dem Problem auseinander, decken eigene Risiken auf und spielen verschiedene Szenarien durch, doch letzten Endes bleibt es dann auch bei diesem Aufdecken der Schwachstellen. Wirkliche Pläne und Schulungen, um zukünftige Probleme auszuschließen, werden nicht konsequent aufgestellt und umgesetzt. Insbesondere für kleinere Kliniken und Gesundheitszentren kann dies aber schwere Folgen haben, wenn es später zu Hygienemängeln kommt. Und was dann?

Wie mit einem Hygieneskandal richtig umgehen?

Der richtige Umgang mit Hygieneskandalen beginnt in der Regel schon sehr lange davor. Wer früh in ein gutes Risikomanagement, Abfragen, Supervision und Mitarbeiterschulungen investiert, wird sehr viel einfacher auf Probleme mit der Hygiene reagieren können. Kliniken, die über kein geeignetes Risikomanagement verfügen, müssen dies im Falle eines Skandals erst mühevoll aufbauen und sich gleichzeitig immer neuen Anschuldigungen entgegenstellen. Je gravierender und zahlreicher die Hygienemängel sind, desto nachhaltiger wird außerdem das Patientenvertrauen zerstört. Folge dieses Imageschadens können finanzielle Einbußen sein, die je nach Dauer sogar existenzbedrohend werden können.

Deshalb setzt erfolgreiches Krisenmanagement auch vor der Krise an. Grundlage ist die Krisenprävention. Dazu gehört vor allem, die Punkte der Hygieneverordnungen einzuhalten, ein regelmäßiges Risikoassessment durchzuführen und auftretende Mängel auch schnellstmöglich abzustellen. Doch belassen Sie es nicht bei der Aufstellung von Plänen und schriftlichen Anweisungen für den Notfall. Risikomanagement bedeutet ebenso, dass Mitarbeiter geschult werden müssen.

Jeder Einzelne muss zu jeder Zeit genau wissen, was er in seiner Position tun muss und soll, um Schaden von den Patienten sowie vom Klinikum oder der Gesundheitseinrichtung fernzuhalten. Kühler Kopf und geordnete Zuständigkeiten sind das A und O des Krisenmanagements beim Hygieneskandal.

Die Klinikleitung muss zu jeder Zeit über Missstände in allen Abteilungen des Hauses Bescheid wissen, um nicht mit einem Dementi vorzupreschen, welches später revidiert werden muss. Dies schadet dem Ansehen aller, insbesondere, wenn dadurch der Beigeschmack aufkommt, etwas solle vertuscht werden. Auch ist der Rücktritt der Klinikleitung nicht immer zielführend, wie zahllose Beispiele aus der Vergangenheit zeigen.

Der Hygieneskandal ist eine Notsituation, die eines geordneten Handelns aller bedarf. Es gilt dann schnell die Mängel aufzuspüren, ihre Ursache zu identifizieren und sach- sowie fachgerecht an deren Abstellung zu wirken. Nur damit lässt sich der Mangel langfristig beheben und verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen.

Ganz besonders wichtig! Aus einem durchgestandenen Hygieneskandal müssen Lernerfolge resultieren. Das verlangt nicht zuletzt die interessierte Öffentlichkeit. Darüber hinaus gehört es zum Umgang mit der Krise und zum Lernprozess, dass Maßnahmen immer wieder auf ihre Wirksamkeit geprüft und notfalls angepasst oder durch neue Maßnahmen ersetzt werden. Alternativen bereitzuhalten, ist hierbei das Stichwort. Und für Alternativen sollte der große Pool der Mitarbeiter genutzt werden. Ideen und Innovationen, die gemeinsam auf den Weg gebracht wurden, vereinfachen später eine Identifizierung mit den Maßnahmen und vor allem auch die Einhaltung der Richtlinien zu deren Umsetzung. Systematisches Handeln, Krisenmanagement und Krisenkommunikation können dann Hand in Hand gehen, um die Notsituation zu meistern und das beschädigte oder sogar verlorene Vertrauen seitens der Patienten, aber auch der Medien, wiederherzustellen.

In jedem Fall aber tun Kliniken sehr gut daran, im Krisenfall schnell und bestimmt zu reagieren. Eine Klinikleitung, die sich rasch nach Bekanntwerden der Missstände offen und faktenbasiert an die Öffentlichkeit wendet, erntet meist den Respekt dafür, auch unbequeme Wahrheiten nicht zurückzuhalten.

Im Zeitalter von Twitter & Co. verbreitet sich jedes Hygieneproblem rasend schnell vom Patienten oder Klinikmitarbieter hinaus in die Welt. Es ist schwer, dies zu verhindern oder zu kontrollieren. Eine „systematische Flucht nach vorn“ jedoch kann den ersten Schaden durch Gerüchte und Kurzmitteilungen minimieren. Erfolgt dann daran anschließend eine nachvollziehbare Aufarbeitung, Analyse und Mängelbeseitigung, muss aus einem Hygieneproblem kein Hygieneskandal werden. Ist dies geschafft, gilt es, in die Krisenpävention zu investieren und dafür alle Mitarbeiter mit ins Boot zu holen. Alltägliche Abläufe und Hygienevorschriften müssen jedem Einzelnen in Fleisch und Blut übergehen. Das ist die beste Prävention. Dafür braucht es in erster Linie Finanzmittel, geschultes Hygienepersonal und die Weitsicht bei der Klinikleitung, dass Prävention zwar erst einmal kostet, sich aber am Ende dafür doppelt auszahlen wird.

Fazit

Mehr als 65 % der Patienten in Deutschland haben Angst vor nosokomialen Infektionen. Um ihnen diese Angst zu nehmen, bedarf es Aufklärung und eines strigent geführten Risikomanagements in Deutschlands Kliniken und Gesundheitszentren. Probleme mit der Hygiene oder Wundinfektionen nach Operationen wird es immer geben – die hundertprozentige Sicherheit gibt es in der Medizin eben nicht. Doch wie sich Kliniken darauf vorbereiten und letztlich damit umgehen, entscheidet darüber, ob die Öffentlichkeit solche Ereignisse als Hygienemängel oder als einen handfesten Hygieneskandal wahrnimmt.

Der Autor

Dr. rer. nat. Marcus Mau
Promovierter Humanbiologe; freier Autor für Gesundheits- und Medizinthemen, seit April 2014 zudem Fachredakteur Urologie bei der MiM Verlagsgesellschaft mbH.

JETZT ABONNENT WERDEN UND KEINE AUSGABE VERPASSEN:

QM-Praxis in der Pflege

Die Fachzeitschrift für
QM- und Hygienebeauftragte